Friedas Sprint hinein in die Welt. Mein Geburtsbericht.

Ich möchte diesen Artikel mit einer Unterhaltung zwischen meiner Cousine und mir einleiten. „Karo, was kommt eigentlich zuerst?“, frage ich meine kinderlose ledige Cousine, der ich allerdings durch die Geburt ihrer drei Nichten kompetentes Wissen bezüglich Schwangerschaften zutraue, „Die Wehen oder platzt die Fruchtblase?“ „Natürlich platzt erst die Fruchtblase und dann kommen die Wehen! Wie soll das Baby denn sonst da herauskommen? Das zeigen sie doch auch immer so in Filmen“, entgegnete sie überzeugt. So war dann auch ich der felsenfesten Überzeugung, dass erst die Fruchtblase platzen muss. Im Geburtsvorbereitungskurs wurde ich eines Besseren belehrt und tatsächlich platzt die Fruchtblase erst in der Austreibungsphase, wenn der Muttermund vollständig geöffnet ist. Dass die Fruchtblase vor dem Einsetzen der Wehen platzt, sprich, dass es einen vorzeitigen Blasensprung gibt, passiert bei ca. 8–10 % der Schwangerschaften.

Nachdem ich den Stress im Alltag reduzieren konnte, war ich bis zur 39. Woche noch recht fit – abgesehen vom Schwangerschaftsdiabetes und den Rückenschmerzen und weiteren Wehwehchen. Ich war wandern, beim Yoga, habe Wochenendausflüge gemacht, hatte eine Babyparty und war sogar noch in der „Dorfdisco“ als „Mama geht tanzen“ in Goslar stattfand. Aber die 39. SSW war für mich sehr mühsam. Ich habe mich gefühlt wie ein Medizinball. Es fiel mir schwer, Treppen zu steigen und das muss ich in unserem Reihenhaus zigmal am Tag, denn die Waschmaschine steht im Keller und andauernd muss man rauf und runter laufen. Ich wollte einfach nicht mehr schwanger sein und habe der Chica in meinem Bauch zugeflüstert, sich langsam auf den Weg zu machen. Ich war voller Ungeduld, diesen kleinen Menschen endlich kennenzulernen und im 10. Monat hatte ich genug davon, schwanger zu sein. Genug war genug! Neben den körperlichen Einschränkungen hatte ich auch genug davon, auf Salami, Räucherlachs, Schinken und Rohmilchkäse zu verzichten.

Warten auf das Einsetzen der Wehen

Die Kleine hat mich beim Wort genommen. Am 30.05. um drei Uhr in der Früh, genau eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin, platzte meine Fruchtblase. Das klingt dramatischer, als es eigentlich ist und ganz und gar nicht so wie im Fernsehen. Es kommt nicht plötzlich ein Schwall Wasser zwischen den Beinen und man steht nicht in einer Fruchtwasserlache. Es ist viel dezenter. An dem Morgen bin ich aufgestanden, um auf Toilette zu gehen, wie die hunderte Male davor schon in der Nacht. Dieses Mal bemerkte ich Tröpfchen in meinem Slip und natürlich habe ich mir dabei nichts gedacht. Ich dachte eher, okay, das Baby drückt so sehr auf die Blase, dass etwas daneben gegangen ist. Nach dem Toilettengang habe ich mich wieder ins Bett zum Schlafen gelegt. Als ich eine Stunde später wieder auf Toilette musste, bemerkte ich, dass dort, wo zuvor nur die farblosen Tröpfchen waren, jetzt mehrere zartrosa Flecken waren. Aus dem Schwangerschaftsvorbereitungskurs wusste ich noch, dass farblos und rosa keine Panik bedeutet, erst bei Grün sollte man sich beeilen. Ich rief in der Klinik in Wernigerode an und teilte mit, dass möglicherweise meine Fruchtblase geplatzt ist. Ich nahm es zumindest stark an, da normalerweise keine rosafarbene Flüssigkeit aus mir ausläuft und mittlerweile tropfte es nicht mehr, sondern es lief nur so runter. Ich packte mir eine extra dicke Binde für Wöchnerinnen ein und ging ins Schlafzimmer, um Björn zu wecken. Aus dem Tiefschlaf geholt, wirkte er zunächst etwas desorientiert und verwirrt, hatte sich aber schnell gefasst und war dann verwundert. Wir haben schnell noch einige Sachen zusammengesucht, wie den Mutterpass und das Portemonnaie, haben unsere Kliniktaschen eingepackt und sind nach Wernigerode gefahren. Auf der ganzen Fahrt dorthin war ich weder aufgeregt noch verängstigt. Für große Gefühlsregungen war ich zu müde. Der Schlafmangel der letzten Monate machte mir zu schaffen. Ich bin aber auch ein entspannter Mensch, der alles so nimmt, wie es kommt, ohne sich groß Gedanken zu machen.

Um fünf Uhr früh haben wir in der Klinik eingecheckt und ich durfte zunächst zum CTG. Wehentätigkeit war nicht vorhanden und der Muttermund war vollständig geschlossen. Generell gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass eine Geburt bevorstand. Die Frauenärztin bestätigte aber den „ordentlichen Blasensprung“, denn nun floss es nur so meine Beine entlang. Der Ultraschall war unauffällig und der Kleinen ging es blendend, daher sollte ich aufs Zimmer gehen, mich hinlegen und versuchen zu schlafen, denn der Tag könnte noch lang werden. Die nächsten Stunden ging es nun darum, darauf zu warten, bis die Wehen von selbst einsetzen, sonst müsste eingeleitet werden.

Björn und ich haben uns zusammen in das Krankenhausbett gelegt, da wir leider kein Familienzimmer bekommen haben, aber trotz der Müdigkeit konnte ich nicht schlafen – ganz im Gegensatz zu Björn. Tiefschlaf ist übrigens sein neues Feature, das bei ihm durch die Geburt freigeschaltet wurde; bei mir ist es das Funktionieren trotz Schlafmangel und stundenlanges sssshhhh, ohne dass der Mund austrocknet. Aber dazu dann später mehr.

Auf der Liege im Kreißsaal fragte ich die Hebamme nach einem Schmerzmittel und nachdem sie den Muttermund abgetastet hat, meinte sie, dass sie mir einen schönen Medikamentencocktail vorbereiten wird.

Jetzt ging es gefühlt jede Stunde zum CTG in den Kreißsaal, aber enttäuschenderweise gab es noch immer keine Wehentätigkeit und der Muttermund war verschlossen. “Wenn von selbst keine Wehen einsetzen, muss eingeleitet werden.”, erklärte mir die Hebamme. Um die Mittagszeit spürte ich ein leichtes Ziehen im unteren Bauch. Ob das schon Wehen sind, fragte ich mich. Schließlich habe ich eine hohe Schmerztoleranzgrenze aufgrund der unerträglichen monatlichen Regelschmerzen entwickelt. Die Gynäkologin holte mich auf den Boden der Tatsachen mit den Worten „So freudestrahlend wie Sie daherkommen, haben Sie noch immer keine Wehen.“ zurück. Ach, Mist und ich dachte, ich wäre eine Supergebärende. Nachdem bis 15 Uhr noch immer nichts von Wehen zu merken war, bereitete mich die Hebamme darauf vor, dass bald eingeleitet werden muss.

Noch immer keine Wehen und ich bin voller Vorfreude

Gegen 16:30 Uhr holte die Hebamme mich aus dem Zimmer und teilte mit, dass wir mit der Einleitung beginnen. Dafür ging es wieder in den Kreißsaal und es wurde wieder ein CTG geschrieben und ich erhielt zwei kleine weiße Pillen. Im Arztbrief stand, dass es sich dabei um das Hormon Misoprostol handelte. Danach sollte ich wieder auf mein Zimmer gehen und warten. In vier Stunden gäbe es die nächste Dosis. Dazu musste es aber gar nicht kommen. Noch während ich dort lag und an dem CTG hing, habe ich unglaubliche Schmerzen im unteren Rücken bekommen. Ich habe versucht, diese wegzuatmen und bin langsam aufs Zimmer geschlendert. Alle paar Meter musste ich anhalten und mich an der Wand abstützen, sobald der Schmerz wieder einsetzte. Eine Stunde später musste ich wieder zum CTG und ich konnte nicht mehr. Björn hat versucht, den Schmerz wegzustreichen, aber er war so stark. Mein Gesicht hat so stark geschwitzt und war rot gefleckt und aufgedunsen. Ich habe die Hebamme angefleht, mir irgendein Schmerzmittel zu geben und ich bekam ein Zäpfchen, aber das verschaffte keine Linderung. Danach ging es noch weitere Male in den Kreißsaal zum CTG. Beim letzten Mal – es war gegen 20:30 Uhr und wir wussten nicht, dass es das letzte Mal sein wird, habe ich gedacht, dass ich es nicht mehr schaffe und umkippe. Björn musste nicht mitkommen, da es schnell gehen sollte, meinte die Hebamme. Die Schmerzen waren mittlerweile so stark und anhaltend, dass ich weder atmen noch mich aufrecht halten konnte. Ich dachte, es zerreißt mich. Auf dem Weg zum Kreißsaal habe ich die leitende Gynäkologin gesehen und sie nach einer PDA angebettelt. Sie meinte nur, dass ich keine benötige, wohl wissend, dass es dafür zu spät ist. Auf der Liege im Kreißsaal fragte ich die Hebamme nach einem Schmerzmittel und nachdem sie den Muttermund abgetastet hat, meinte sie, dass sie mir einen schönen Medikamentencocktail vorbereiten wird. „Aber einen extra starken, mit viel Schuss“, entgegnete ich ihr. Kurz darauf bekam ich einen Tropf mit einem Antibiotikum und meinem Medikamentencocktail. Dann kam Björn in den Kreißsaal. Er hatte mich schon gesucht, weil es so lange gedauert hat und die Hebamme sagte, dass er direkt bleiben kann. Und da lag ich auf dieser Liege, krümmte mich immer noch vor Schmerzen, mit glühendem Gesicht, schweißgebadet. Björn legte mir alle paar Minuten einen nassen Waschlappen auf die Stirn und ich klammerte mich in seine andere Hand. Die Schmerzen kamen direkt hintereinander, ohne Pause und zum Atmen kam ich gar nicht mehr. Das waren sie also, die Wehen. Eine ganz neue Dimension von Schmerz. Ich sah im Augenwinkel, dass die Hebamme einige Dinge zurechtlegte und etwas an meinen Beinen aufbaute. Sie sagte mir, ich solle mich auf den Rücken legen, denn bis dahin lag ich gekrümmt auf der Seite, in Embryonalstellung. Dann ging sie zur Metalltür und betätigte den automatischen Türöffner. Sie schaute in den Flur und rief „Geburt!“. Eine Kollegin von ihr kam fragend herbeigeeilt „Jetzt schon? Das ging aber schnell.“ Vergessen waren alle Geburtspositionen, die wir vorher geübt haben, und ich war froh, eine resolute Hebamme zu haben, die mir die nötige Unterstützung bot.

„Ich sehe das Köpfchen. Sie hat Haare. Du hattest recht, sie hat ganz viele Haare!“

Ich lag also auf dem Rücken, die beiden Hebammen hielten meine Beine angewinkelt und Björn drückte meinen Kopf in Richtung Brust. Zugegeben, angenehm war die Position nicht, aber effektiv. Jetzt waren sie da, die Presswehen. Bei jeder Presswehe sollte ich tief Luft holen und mit der Wehe ausatmen, um das Baby kommen zu lassen. Als das Köpfchen langsam herauskam, war es ein seltsames Gefühl. Björn rief voller Freude: „Ich sehe das Köpfchen. Sie hat Haare. Du hattest recht, sie hat ganz viele Haare!“. Noch fünf oder sechs Presswehen und dann kam ihr schriller Schrei. Ein vier Stunden Geburtssprint und davon dreißig Minuten Pressen und unsere Tochter war da. Das überraschte selbst die erfahrene Hebamme. Sie legte sie mir auf die Brust. Björn hatte einen Gefühlsausbruch und stand weinend neben mir. Gut, dass wir Frauen gebären, dachte ich, sonst hätte die Menschheit eine kurze Verweildauer auf der Welt.

Unsere Frieda mit vielen Haaren

Wir haben uns so sehr über unsere Tochter gefreut. Bei mir war es Freude und Ungläubigkeit, gemischt mit Unbeholfenheit und unendlicher Liebe. Ich konnte nicht glauben, dass ein kleiner Mensch aus mir herauskam, dass dieser Mensch Teil meines Körpers war. Jetzt lag sie da auf meiner Brust, noch voll mit Blut, Wasser und Käseschmiere. Ihre Augen hatte sie schon zu zwei kleinen Schlitzen geöffnet. Die Schlitze schauten mich mit kritisch an, ihre Stirn in kleine Falten gelegt. Ich wusste nicht so recht, was jetzt mit ihr zu tun war; ich wusste nur, dass ich sie festhalten und beschützen muss. Ich legte meine Hände schützend auf sie, versuchte sie zu wärmen und flüsterte: „Hallo, Frieda. Ich bin deine Mama.“

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